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RÜCKBLICK

JAN HOLGAR BORM: MEINE VERBUNDENHEIT ZU WANGEROOGE

1952 war ich als einjähriges Kind das erste Mal auf der Insel, natürlich mit meiner älteren Schwester und meinen Eltern. Entweder war ich im Kinderwagen auf der Promenade unterwegs oder buddelte im Sand. Von da an ging es für mich eindeutig bergauf, denn ich war fortan jedes Jahr mindestens vier Wochen, manchmal zusätzlich auch über Pfingsten, auf Wangerooge.

MOIN NR. 1 · 2022

Hier lernte ich in den erste Jahren alles, was für mich damals wichtig war: das Laufen, Tretroller und Rollschuh fahren. Der Schwimmunterricht machte mir großen Spaß, bei Ebbe unter Anleitung von »Onkel Freese« im knietiefen Priel herumzupaddeln. Nach und nach kamen die Schwimmabzeichen an meine Badebüx, die später im Freibad bei noch sehr undurchsichtigem Wasser absolviert wurden. Jeden Tag gingen wir mit der Familie baden, hinein in die Fluten der Nordsee. Danach schnell in den dicken Bademantel und in den hoffentlich von der Sonne angewärmten Strandkorb gekuschelt …

Dann kam die Krönung: die Kuchenstückchen von Erika Folkers, Bäckerei Folkers am Damenpfad / Ecke Peterstrasse. Manchmal tropfte noch etwas Nordseewasser aus den Haaren auf meinen Kuchen. Es waren diese kleinen alltäglichen maritimen Nuancen, wie diese in der gehobenen Bäckerei-Feinkost, die W’ooge-Momente eben ausmachten. 

VON PONYS UND PADDELN

In den ersten Jahren auf Wangerooge gab es am Hauptbadestrand bei Ebbe Ponyreiten. Ich musste jedes Mal lange quängeln bis 50 Pfennige locker gemacht waren und es endlich losging. Auch die Paddelboote von Hajo ließen mir als Kind keine Ruhe. Es hatte mich sehr beeindruckt, wie Hajo mit einem eigentlich stumpfen Bleistift auf einem völlig durchnässten Schreibblock seine unlesbaren Notizen für den nächsten Bootswechsel notierte. Viele Jahre später habe ich Hajo manchmal beim Boßeln getroffen, leider war er meistens in der gegnerischen Mannschaft. Beim Boßeln war Hajo nämlich unschlagbar.

Weil es mir auf Wangerooge gesundheitlich in den Ferien immer besonders gut ging, drückte ich ab August 1962 die Schulbank des Insel-Gymnasiums. In den ersten 4 Wochen bis zu den Herbstferien 1962 hatte ich großes Heimweh, eine wirklich schreckliche Zeit. Danach war ich hier zu Hause. Es kam der Winter 1962/1963. Meine Eltern bekamen einen Anruf kurz nach Silvester von der Schule mit der Nachricht: eine Woche Ferienverlängerung »wegen Eisgang.« 

Von Wilhelmshaven fuhr die MS. OLDENBURG eine Sonderfahrt mit allen Schülern nach Wangerooge. Ich erinnere mich an das schwierige Anlegemanöver. Kapitän Rönnau hatte das Schiff mit seemännischem Können und mit viel Propellerarbeit im Eis am Westanleger an die Pier gebracht. Er konnte was! Danach waren wir etwa bis Mitte März eingefroren. Es war jeden Tag eisig kalt, klare Tage meist mit Sonnenschein, ein wahrlich winterlicher wunderschöner Kurort. Und es war wahrlich kalt. Manchmal fand ich das Restwasser im Glas auf meinem Nachttischchen morgens gefroren. Aber wir sind alle fröhlich, ohne Husten, Schnupfen, Heiserkeit, also kerngesund durch diesen besonderen Winter gekommen. 

 

»GEFANGEN« IM EIS 

Post, Milch, Babynahrung und Heizmaterial kamen per Hubschrauber. Zwischendurch gab es Schnee. Das war abenteuerlich! Im Sportunterricht wurde in jenen Tagen bei Herrn Einhoff Schlitten gefahren. Welch ein Vergnügen, den Deich runterzufahren! Etwa Mitte März 1963 drehte der Wind auf Südwest bis West und der Winterzauber war leider vorbei. 

In einer Schüler AG, es war wohl im Winter 1967, vermittelte Kapitän Kuper uns Nautische Gesetzeskunde und Terrestrische Navigation. Der Kurs endete für alle Teilnehmer erfolgreich an der Seefahrtsschule in Elsfleth mit der Prüfung zum Sportseeschiffer-Zeugnis. Eine weitere Vertiefung meiner Neigung zum Maritimen. Man kann sich vorstellen, dass sich das Ergebnis nicht in den Zensuren auf dem Schulzeugnis widerspiegelte. Meine schulischen Leistungen mal großzügig ganz außer Acht lassend, war es eine wunderbare Zeit auf Wangerooge. Einen Winter lang hatten wir auch Tanzstunde im Hotel Germania. Vom Tanzen mal abgesehen, lernte ich auch Küssen und Lieben in diesen wunderbaren Jahren.

So sammelten sich die W’ooge-Momente. Tatsächlich kam im Jahre 1972 das »Zeugnis der Reife« ins Haus, erfreulich, doch nicht vorhersehbar. Nur war damit leider ein Abschied von Wangerooge verbunden, von der Jugend und einer gewissen Unbeschwertheit. Eigentlich wäre ich gerne geblieben. Mein auf der Insel ansässiger Klassenkamerad bot mir in den 70-er Jahren immer wieder Quartier für viele schöne Wochen auf der Insel mit ebenfalls interessanten Erlebnissen und sehr viel Spaß. Dafür bin ich der Familie bis heute sehr, sehr dankbar. 

 

EIN DICHTENDER RETTUNGSSCHWIMMER

Während der Semesterferien war ich in einigen Sommern bei der Kurverwaltung als Rettungsschwimmer angestellt. Vollgehängt mit Funke, Fernglas und Tute schlenderten wir in der Dienst-Badehose am Strand entlang, immer ein wachsames Auge auf die wesentlichen Dinge im Wasser und auch am Strand. Zu fortgeschrittener Stunde wurde schon mal von einer jungen Dame gefragt, ob man den Nordstern am Nachthimmel sehen kann. Ich bin selbstverständlich immer darauf reingefallen. Aus meinen Erinnerungen ergab sich daraus, wie von Zauberhand, die letzte Strophe meines Wangerooge ­Liedes. 

Sommernacht zu zweit, die Spur am Strand, der Schiffe Lichter blinzeln in der Ferne. Nordsee-Wind liebkost Haut und Haar wie Samt, darüber das Dach tausender Sterne.

Im Frühdienst musste von 6-8 Uhr morgens das Freibad mit einem Unterwassersauger gesäubert werden. Kein Spaß. Dummerweise war die Nacht davor immer kurz. Darum gleich nach dem Dienst um 08.00 Uhr in die »Meerwassertrinker-Heilanstalt«, BIOMARIS genannt. Hier bekam man von der jungen Dame den Drink auf Wunsch, auch pur, nicht gerührt und nicht geschüttelt. So wurde der klare Kopf wiederhergestellt. In dieser Zeit konnte ich noch einmal die alte Unbeschwertheit der Jugend und manche W’ooge-Momente wiedererleben.

 

DER GRÖSSTE INSELMOMENT

An Wochenenden blieb ich danach der Insel weiter treu, so auch über diverse Silvesterwochenenden, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte, wohl aber auf den besondersten Insel-Moment meines Lebens: Der heute noch ortsansässige Klassenkamerad organisierte zum 14.12.2001 einen Standesbeamten, wie wir es uns zu Schulzeiten versprochen hatten. Es wurde die Trauung mit meiner Frau auf dem Wangerooger Leuchtturm vollzogen! Ein W’ooge-Moment der ganz besonderen Art.

Nun ist das Haar grau und etwas schütter, was mich dazu bewog, meine Erinnerungen mal hervorzuholen und in Wort und Ton in das Lied »W’OOGE MOMENTE« zu packen. Der Reggae-Rhythmus kommt nicht von ungefähr, denn es war eine »coole« Zeit. Mein Musik- und Lateinlehrer Herr Henseleit wäre vielleicht endlich mal stolz auf mich. Gerne hätte ich für immer auf der Insel den Anker fallen lassen, aber der Wind des Schicksals stand aus einer Richtung, bei der ich mit richtiger Segelstellung den Kurs auf den Hafen von Wangerooge nicht hätte ansteuern können.

TEXT: JAN HOLGAR BORM

FOTOS: AXEL STUPPY + PRIVAT

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