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SCHULZEIT-ERINNERUNGEN

111 JAHRE INSELSCHULE UND DER WINTER VOR 60 JAHREN

Die Ehemaligen klinken sich dieses Jahr in das 111-jährige Jubiläum der Inselschule ein. Am 17. und 18. Juni 2021 werden wieder viele Frauen und Männer, die das Inselgymnasium Wangerooge besucht (und meist erfolgreich verlassen) haben, auf die Insel kommen. Wie seit vielen Jahren. Doch: Es findet diesmal kein Eigenprogramm statt.

MOIN NR. 2 · 2021​

Organisator Volker Hischen konnte bis zum Redaktionsschluss der Moin-Osterausgabe noch keinen Jubiläums-Ablauf nennen: »Die Corona-Situation hat das geplante Treffen eines Organisationsteams auf der Insel bisher nicht ermöglicht.« Im vergangenen Jahr musste das Treffen kurzfristig abgesagt werden. Die Insel war zwar in der »Coronapause« wieder geöffnet, doch die Gemeinde hatte die Mehrzweckhalle am Tennisplatz gesperrt. Hier waren der Grillabend am Freitag und das Abschiedsfrühstück am Sonntag vorgesehen …

Nicht mehr dabei der leider verstorbene Reinhard Hempen, der die Wiedersehensfeiern der Abiturienten erfolgreich organisiert hatte. Hempen rief – und die ehemaligen Schülerinnen und Schüler kamen sogar von Übersee nach Wangerooge. Einige wie Hempen leben nicht mehr.

Auch nicht Carsten Johow, der am 2. Juni 2018 gestorben ist, in Bremen beigesetzt wurde und jedes Jahr von Australien nach Wangerooge gekommen war. Unvergessen seine Erinnerungen an den berühmt-berüchtigten Wangerooger Winter.

ELTERNSPRECHTAGE

Irgendwann im März vor 60 Jahren gab es auch einen Elternsprechtag, zu dem die Mutter von Carsten Johow anreiste. Der Junge holte sie von der Inselbahn ab. Johow erinnerte sich genau: »Als ich ihr sagte, dass ich schon nicht mehr gewusst hätte, wie sie aussieht, fing sie an zu weinen, und wir haben wieder Roastbeef mit Remouladensoße gegessen. Die Gespräche, die Mutter mit den Lehrern führte, waren durchaus positiv. ,Er singt nicht, er brummt nur‘, musste sich meine Mutter sagen lassen.

Vorher gab es die Weihnachtsferien. Eine fröhliche Gesellschaft fuhr auf der ‚Oldenburg’ mit Kurs Harle. Weiter ging es mit dem Zug. Oldenburg war für einige Endstation und in Bremen konnte meine Mutter mich in die Arme nehmen. Weihnachten kam und ging, zu Silvester lag ein Brief vom Insel-Gymnasium im Briefkasten, der so genannte ‚blaue Brief’ ermahnte, dass die Versetzung gefährdet ist und ich Wangerooge verlassen muss falls ich mich nicht bessere. Das war 1960 noch etwas Neues für meine Eltern, in den darauffolgenden Jahren, als auch meine Schwester blaue Briefe bekam, war es ein alljährliches Ereignis zum Jahreswechsel. Viel zu schnell kam das Ende der Ferien, und es ging zurück nach Wangerooge.

BUCH ÜBER DIE SEEFAHRT

Anfang Januar brachte uns die Oldenburg zur Insel zurück, im Gepäck gute Vorsätze und Bücher, um die Monotonie des Inselwinters zu überstehen. Eines der Bücher, die ich zu Weihnachten bekommen hatte, war der Roman von Hans Leip ‚Jan Himp und die kleine ­Brise’. Ein Buch, das von Seefahrt, Abenteuer und unschuldiger Liebe handelt, allem, wovon ich im winterlichen Wangerooge träumte. Die R­ealität sah anders aus. Zusammen mit dem gleichaltrigen Hansi A., der bereits eine Klasse unter mir war, zog ich in ein ­Kellerzimmer, dadurch wurde der Winter noch dunkler. Das Wort Reizüberflutung war zumindest im Winter auf Wangerooge nicht bekannt. Auf langen Spaziergängen wurde der Strand nach mehr oder weniger nützlichem Strandgut abgesucht, wie zum Beispiel Munition. Um Seeminen machten wir allerdings einen weiten Bogen, da sie auch wegen der Transportmöglichkeiten wenig zum Sammeln geeignet waren. Die 15 kg schweren Flakgranaten des Kalibers 10,5 cm, die nach jeder höheren Flut teils noch in luftdichten Transportbehältern am Strand zu finden waren, eigneten sich besser. Sie wurden dilettantisch durch Aufschlagen auf die Eisenbahnschienen der Inselbahn oder auf Betonreste der gesprengten Bunker geöffnet, um die Pulverstangen aus den Kartuschen zu entfernen. Das Schießpulver wurde dann in fröhlicher Runde zur Explosion gebracht. Es diente auch als willkommenes Geschenk für die Freunde am Festland und wurde bis zu den Ferien in mehr oder weniger großen Mengen in Schränken und unter Betten gelagert.

SCHIESSPULVER

Das Pulver war relativ harmlos, solange es nicht mit Feuer in Berührung kam. Allerdings konnte nur der vom Alkohol umnebelte Geist eines Wangerooger Internatsschülers auf die Idee kommen, seine Sprengstoffvorräte in einem Ofenrohr zu verstecken. Die Explosion führte nicht nur zu einer Renovierung der Küche des Schülerheims, sondern auch zu einer Razzia, bei der der ganze Umfang der gemeinnützigen Kampfmittelräumungsaktion zu Tage trat. Es wurden uns Strafen wie lebenslängliches Fernseh- und Ausgangsverbot und in drastischen Fällen sogar Schulverbot angedroht. Wir wandten uns anderen Freizeitbeschäftigungen zu, die noch nicht ausdrücklich verboten waren. Wir haben bei dieser Tätigkeit nicht nur elementare Kenntnisse der Sprengstofftechnik gelernt, sondern auch die notwendige Verantwortung beim Umgang mit Sprengstoffen. Das hierbei erlernte Fingerspitzengefühl, das man anwenden musste, um ungewollte Explosionen zu vermeiden, war auch später beim Umgang mit Ehefrauen wichtig, da man Frauen, genau wie Granaten, auch immer nicht ansehen konnte, ob sie im Begriff sind zu explodieren.«

Allmählich ging Johows erster Inselwinter zu Ende. Durch geschickte Manipulation (Abschreiben) von Klassenarbeiten gelang es ihm, keine weitere ‚Fünf’ zu bekommen. Am 21. März 1961 war die entscheidende Klassenkonferenz. Es folgten spannende Tage. Doch als er in die Osterferien fuhr, stand in seinem Zeugnis: »Auf Beschluss der Klassenkonferenz vom 21. März 1961 nach Klasse 7 versetzt. Carsten ist endgültig in das Inselgymnasium aufgenommen worden.«

Carsten Johow war ein hervorragender Erzähler: »In meinem Zeugnis gab es nur eine einzige Fünf in Musik und die zählte fast gar nicht. Mit dem Gefühl, wieder einmal unter einer Hürde des Lebens durchgekrochen zu sein und eine wichtige Schlacht in meinem schulischen (Über-)Lebenskampf gewonnen zu haben, fuhr Carsten in die Ferien …

Text: MANFRED OSENBERG

FotoS: EVELYN GENUIT + KURT KEIL

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