ZUGVOGELWOCHEN

DIE ERSTEN WINTERGÄSTE

Zum 12. Mal fanden – wie immer im Oktober – im Niedersächsischen Wattenmeer die Zugvogeltage statt. In der Region lässt sich zu dieser Jahreszeit ein besonders reges Zuggeschehen vieler Vogelarten feststellen. Während einzelne Nachzügler eigentlicher Sommervögel noch auf besseres Wetter für den Abzug warten, erreichen bereits die ersten Wintergäste die Küsten. So kam auch dieses Jahr wieder eine lange Liste von 215 beobachteten Arten zustande.

MOIN WINTER SPEZIAL 2020

Auf Wangerooges kleiner Nachbar-Insel Mellum konnten in diesem Jahr 106 von ihnen während der acht Beobachtungstage entdeckt werden. Zu den spät durchziehenden Sommervögeln zählten zum Beispiel jeweils eine Dorn- und Klappergrasmücke, die üblicherweise bereits im August oder September auf dem Weg in ihre afrikanischen Winterquartiere sind. Auch letzte Rauchschwalben und eine einzelne Heidelerche konnten noch beobachtet werden. Andererseits waren mit Ohrenlerchen, Strandpiepern, Berghänflingen sowie Schnee- und Spornammern bereits Brutvögel Nordeuropas anwesend, die typischerweise die Winter an der Nordsee-Küste verbringen. Auch unter Greif- und Seevögeln waren einige Wintergäste wie Raufußbussard und Merlin, bzw. Stern- und Prachttaucher auf Mellum und der Nordsee zu beobachten.

Immer wieder spannend ist auch die wetterabgängige Dynamik des Zuggeschehens. So verursachte frischer bis starker West- und Nordwestwind bei Schauerwetter am ersten Wochenende einen starken Zugstau unter vielen Singvögeln. Bei diesen schlechten Zugbedingungen werden viele Vögel zum Landen gezwungen. Über das Meer ziehende Vögel, die vom schlechten Wetter überrascht werden, landen dann häufig direkt an der Küste oder vorgelagerten Inseln wie Mellum. Infolge eines solchen Zugstaus konnten jeweils mehrere Tausend Buchfinken, Sing- und Rotdrosseln, sowie Stare auf Mellum rastend gesichtet werden. Wenige Tage später bot immer noch windiges, aber trockenes Wetter bei auf Nordost gedrehtem Wind für viele Arten besonders günstiges Zugwetter. Da die meisten Arten in Mitteleuropa im Herbst nach Südwesten ziehen, können sie bei dieser Windrichtung viel Energie einsparen. So wurden am 15. Oktober knapp 4.000 Weißwangengänse in vielen einzelnen Trupps die Insel überfliegend gesichtet.

Daneben machen aber auch die gehäuft zur Zugzeit auftretenden Seltenheiten die Vogelbeobachtung an der Küste besonders reizvoll. Zu diesen zählt zum Beispiel der Gelbbrauen-Laubsänger. Er ist ein Brutvogel Asiens, dessen Brutareal aber inzwischen auch westlich des Urals liegt. Während der Großteil der Population zum Überwintern nach Südostasien zieht, wird die Art zunehmend auch in Südwest- und Westeuropa überwinternd festgestellt. Auf dem Zug dorthin wird er insbesondere im Oktober fast schon regelmäßig an der Nordsee beobachtet. Auf Mellum hielt sich die Art an der Hälfte der Beobachtungstage des Aviathlons auf.

Am Tag nach Ende der Zugvogeltage konnten die NSW auf Mellum jedoch eine noch deutlich seltener in Europa auftretende Laubsängerart entdecken. Im dichten Weidengestrüpp um den Teich konnte ein oft verdeckt sitzender und anfangs nur sporadisch rufender Vogel nach langer, intensiver Beobachtung sicher als Tienschan-Laubsänger identifiziert werden. Der Tienschan-Laubsänger ähnelt dem Gelbbrauen-Laubsänger äußerlich sehr, ist aber insgesamt etwas blasser gefärbt und die vordere von zwei hellen Flügelbinden ist deutlich schwächer ausgeprägt. Meist ist aber der Ruf zur sicheren Unterscheidung unerlässlich. Im Gegensatz zum hohen, spitzen und meist dreisilbigen Ruf des Gelbbrauen-Laubsängers ist der Ruf des Tienschan-Laubsängers zweisilbig, tiefer pfeifend und voller im Klang. Die Art ist nach dem zentralasiatischen Gebirge, das zu seinem Brutgebiet gehört, benannt. Daneben kommt er aber auch in den Gebirgswäldern des Himalayas und weiteren zentralasiatischen Hochgebirgen zwischen Hindukusch im Westen bis zum östlichen tibetischen Hochplateau im Osten vor. 

Den Winter verbringt die Art zumeist auf dem indischen Subkontinent. Beobachtungen in Deutschland sind entsprechend extrem selten. Bei der Beobachtung auf Mellum handelte es sich um den Erstnachweis auf der Insel. Das Individuum scheint sich aber recht wohl dort zu fühlen. Es heilt sich 6 Tagen stationär auf der Insel auf, bevor es diese verließ.

Foto: Gerd Kaja

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